“Marx hat als Politiker immer wieder davon gesprochen, im Dienste einer ‘Partei’ zu stehen. Was er darunter verstand, ist in der historischen Forschung jedoch höchst umstritten. Offensichtlich lassen sich seine zahlreichen Äußerungen zum Parteiproblem nicht ohne weiteres auf einen Nenner bringen. Die wissenschaftlichen Versuche, darin ein System zu erkennen, gleichen häufig einem Puzzlespiel, bei dem einige Teile übrigbleiben. Auffällig ist zunächst, daß Marx seine Parteivorstellungen eigentlich niemals besonders thematisiert hat. Er hat sich dazu nur beiläufig oder allenfalls indirekt geäußert, Ganz im Gegensatz zu Lenin, dessen wohl einziger eigenständiger Beitrag zur politischen Theorie seine Parteitheorie war, stand für Marx nicht die ‘Partei’, sondern die ‘Klasse’ im Mittelpunkt seines politischen Denkens (60). Es was die Klassenbildung des Proletariats, die ihn in erster Linie interessierte; die proletarische Parteibildung als solche blieb dem untergeordnet. Viele seiner Äußerungen, die für seine Parteivorstellungen in Anspruch genommen werden, gehören in Wahrheit in den Bereich seiner klassentheoretischen Überlegungen (61). Das hat zwangsläufig zu zahlreichen Mißverständnissen geführt, aufgrund deren die Parteivorstellung von Marx noch widersprüchlicher erschienen, als sie es in Wahrheit gewesen sind. Manche Autoren sind sogar zu der irrigen Annahme gekommen, daß Marx überhaupt keine konkrete, in sich konsistente Parteivorstellung gehabt hätte. Den meisten dieser Interpretationen liegt jedoch die anachronistische Vorstellung zugrunde, daß es zu Lebzeiten von Marx in Deutschland bereits einen klaren Parteibegriff gegeben habe” [Wolfgang Schieder, Karl Marx als Politiker, 1991] [(60) Vgl. z. B. Ulrich Haufschild, Partei und Klasse bei Marx und Engels, Phil. Diss. Frankfurt 1965; Horst Bartel – Walter Schmidt, Zur Entwicklung der Auffassungen von Marx und Engels über die proletarische Partei, in: Horst Bartel, u.a. (Hg.), Marxismus und deutsche Arbeiterbewegung. Studien zur sozialistischen Bewegung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, Berlin 1970, S. 7-101; Martin Hundt, Zur Entwicklung der Parteiauffassungen von Marx und Engels in der Zeit des Bundes der Kommunisten, in: BZG 23 (1981), S. 512-527, auch in: ders. (Hg.), Bund der Kommunisten 1836-1852, Berlin 1988, S. 289-310; Klaus von Beyme, Karl Marx and Party Theory, in: Government and Opposition 20 (1985), S. 70-87; (61) Vgl. von Beyme, Karl Marx and Party Theory, S. 71, sowie allgemein Horst Stuke, Bedeutung und Problematik des Klassenbegriffs. Begriffs – und sozialgeschichtliche Überlegungen im Umkreis einer historischen Klassentheorie, in: Ulrich Engelhardt, u.a. (Hg.), Soziale Bewegung und politische Verfassung, Beiträge zur Geschichte der modernen Welt, Stuttgart 1976, S. 46-82; (62) Vgl. z.B. Schmidt/Bartel, Zur Entwicklung der Auffassungen von Marx und Engels über die proletarische Partei, S. 30f, S. 39, S. 62]